Wie nutzen blinde Menschen Social Media?

Über Barrierefreiheit zu reden, ist eine Sache. Aber was brauchen blinde und sehbehinderte Menschen wirklich? Was hilft und was ist gut gemeint, aber schlecht gemacht? Um nicht nur über Betroffene, sondern mit ihnen zu reden, haben wir ein Interview mit Fabian, Mitglied beim Blinden– und Sehbehindertenverband Dresden, geführt und uns Einblicke in seine Lebenswelt geben lassen.

Blinde Menschen nutzen Social Media genau wie alle anderen auch – wenn wir es zulassen.

Ob Nachrichten, Sport, Events oder einfach zur Unterhaltung – Fabians „Social-Media-Fußabdruck“ unterscheidet sich nicht viel von anderen 27-jährigen Usern. Er ist auf Instagram unterwegs, X und Reddit, beruflich auch mal auf LinkedIn oder Facebook. Doch wie umfänglich er diese Plattformen nutzen kann, liegt leider meistens nicht in seiner Hand.

Mindbox: Für uns ist es ganz normal, Freund:innen Reels zu schicken oder unter Beiträgen mit anderen zu interagieren. Wie sind soziale Interaktionen für dich möglich?
Fabian: Das kommt ganz darauf an, in welchem Zustand die App aktuell ist. Meine Freunde schicken mir auch Reels und Beiträge, aber bei Instagram war es jetzt zum Beispiel für ein halbes Jahr nicht möglich, mit einem Screenreader ein Reel zu liken, zu kommentieren oder es weiterzuschicken.

M: Gibt es eine Plattform, die besonders Screenreader-freundlich ist?
F: Bisher war das X, früher Twitter. Vom grundsätzlichen Aufbau und der Bezeichnung der Schaltflächen her, ist sie recht gut händelbar.

M: Wie können wir uns denn grundsätzlich dein Nutzungserlebnis auf Social Media vorstellen? Werden zum Beispiel zuerst die Captions eines Beitrags vorgelesen oder die Alternativtexte?
F: Das kommt ganz auf die Programmierung der App an. Instagram springt zum Beispiel im Hauptfeed auf den ersten Beitrag und liest den Accountnamen vor, dann den Alternativtext und anschließend die Caption. Es wäre zumindest schön, wenn mir der Alt-Text des Bildes vorgelesen werden würden – aber den gibt es in 95 % der Fälle einfach nicht.

„Vor allem bei großen Firmen ist das schon fragwürdig, dass Alt-Texte noch nicht zum Standard gehören.”
Fabian, blinder Social-Media-Nutzer

M: Was passiert, wenn bei einem Bild kein Alternativtext hinterlegt ist?
F: Dann versucht die KI von Meta, das Bild zu interpretieren und mein Screenreader versucht, den Text auf Bildern vorzulesen. Das ist meistens aber nichtssagend oder einfach komplett falsch. Und bei X ist eine Alt-Text-Funktion gar nicht vorhanden, da muss ich mir Bilder durch eine andere App erklären lassen.

Bei einem Instagram-Post lassen sich über die 3 Punkte in der oberen Ecke und das Feld „Bearbeiten“ Alternativtexte einstellen. Wird kein Alt-Text angegeben, wird dieser automatisch für jedes Bild von Meta generiert. Er lautet jedes Mal gleich: „Photo by (Username) on (Datum)“.

Screenshot eines Handys mit der Ansicht auf ein Instagram-Carousel, bei dem Alternativtexte eingestellt werden können.

M: Wie ist das bei Videos, dort können ja keine Alt-Texte eingefügt werden?
F: Für Videos bräuchte man theoretisch eine Audiodeskription, die den Inhalt beschreibt. Die muss aber extra eingesprochen und eingefügt werden, was ein immenser Aufwand ist. Da habe ich Verständnis, wenn es nicht gemacht wird. Für Reels gilt daher: Entweder vermittelt die sprechende Person alle wichtigen Informationen oder ich kann sie nicht erfassen.

M: Was benötigst du denn in einer Audiodeskription oder einem Alt-Text und was findest du unnötig?
F: Da ist natürlich jeder verschieden. Für mich sind die grundsätzlichen Inhalte ausreichend, wie: „Links steht ein Baum, eine grüne Wiese, die Sonne geht unter und der Himmel ist rötlich gefärbt. Das Bild vermittelt eine gemütliche Stimmung.“ Da ich erst seit 4 Jahren komplett blind bin, ist es für mich schon auch wichtig, wie Dinge aussehen. Man visualisiert sich das im Kopf ja trotzdem. Genauere Details zu den Pflanzen brauche ich in dem Fall aber nicht. Das ist natürlich anders, wenn Menschen einer Botanik-Seite folgen. Denen ist sowas dann wichtig.

M: Wie gehst du mit Beiträgen um, die keine Alt-Texte besitzen? Liest du dann nur die Caption?
F: Das kommt darauf an, wie sehr mich der Post interessiert. Aber oft überspringe ich einen Beitrag, wenn mir die Accounts nicht die nötigen Informationen bereitstellen.

M: Apropos Caption: Wie ist das eigentlich mit Emojis? Die werden ja gerne auch mal als Anstriche oder Stichpunkte verwendet.
F: Ja, Emojis sind ein spannendes Thema. Jedes Emoji hat einen automatischen Alternativtext hinterlegt. Das heißt, wenn viele Emojis aneinandergereiht sind, wird jeder einzelne Alt-Text vorgelesen. Das kann echt verwirren und Leute auch abschrecken. Daher sollten sie sparsam und am Ende eines Satzes eingefügt werden. Wenn Emojis als Anstriche benutzt werden, ist das für mich persönlich eher anstrengend. Ich weiß ja nicht, dass danach ein Stichpunkt kommt. Daher ergibt das im ersten Moment für mich gar keinen Sinn – vor allem, wenn es ungewöhnliche Emojis sind, wie das, bei dem der Kopf explodiert.

Emojis als Anstriche und Hashtags ohne PascalCase: so sieht eine nicht-barrierefreie Caption aus.

Eine LinkedIn-Caption mit vielen Emojis auf einem Smartphone.

M: Gibt es ein Feature, das du dir auf Social-Media-Plattformen wünschst?
F: Ich fände es cool, wenn ich einstellen könnte, was ich wirklich in der App brauche. Eine Art Baukasten, mit dem ich mir die App-Struktur selbst aussuchen kann. Ich will mir zum Beispiel keine Storys anschauen. Die sind nicht barrierefrei und beinhalten so keine Informationen, die ich bekommen kann. Ich bräuchte die Story-Leiste oben also gar nicht. Bei Reddit gibt es da schon einiges an Einstellungen.

M: Und gibt es vielleicht etwas, das du dir von Unternehmen im Umgang mit Social Media wünschen würdest?
F: Sich Inklusion nicht nur auf die Fahne zu schreiben, sondern sie auch wirklich umzusetzen. Dass sie auf die Leute zugehen, die es wirklich betrifft und nicht nur Annahmen darüber treffen, was jetzt barrierefrei ist und was nicht. Man muss immer mit den Nutzenden auch in den Austausch gehen: Was ist wirklich relevant, was hilft wirklich?

„Ich erlebe es oft, dass Websites zwar als barrierefrei deklariert sind, aber trotzdem überall noch Stolpersteine haben. Eben, weil sie von Sehenden für Blinde gebaut wurden und nicht von oder mit Blinden für Blinde.”
Fabian, blinder Social-Media-Nutzer

Abgebildet ist eine Illustration eines jungen Mannes, der sein Smartphone und einen Screenreader nutzt.

M: Hast du einen Tipp, wie Unternehmen das möglich machen können, wenn sie keine blinden Personen beschäftigt haben?
F: Grundsätzlich sollte immer die erste Kontaktstelle der ansässige Blinden- und Sehbehindertenverband sein. Es gibt ihn als Dachorganisation und dann die Untergliederungen in beispielsweise den Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen und darunter die Kreisorganisation in Dresden. Die regionalen Verbände sollten immer die ersten Anlaufstellen sein, aber wenn Unternehmen nichts Regionales finden, dann können sie sich immer auch an den Dachverband wenden.

M: Noch eine Frage zum Schluss: Wie müssen wir – als Unternehmen und Privatpersonen – unser Postingverhalten verändern, damit Blinde und sehbehinderte Menschen gleichberechtigt teilhaben können?
F: Es muss einfach zur Routine werden, Alternativtexte und passende Bildunterschriften einzubauen. Das muss automatisch in der Posterstellung schon im Kopf sein und kein erschrecktes: „Oh, das muss ich auch noch machen!“ am Ende. Es muss normalisiert werden, dass das mit dazugehört.

Wir haben aus dem Gespräch unglaublich viel gelernt – danke Fabian, für deine Zeit und Offenheit!

Du möchtest deinen eigenen Content auf Barrierefreiheit prüfen lassen oder mehr über barrierefreies Posten erfahren?

Dann lade dir unser kostenloses Whitepaper herunter oder schreibe uns persönlich an!

Ihr:e Ansprechpartner:innen